Maßnahmen gegen Niederschläge und Hochwasser in Industrieparks
- 27.10.16
- Von: Prof. Dr. Müggenborg
- Thema Chemiepark, Niederschläge, Hochwasser
Text ursprünglich erschienen auf Chemietechnik.de, hier wiedergegeben mit Erlaubnis des Herausgebers. Foto: eyetronic @ fotolia.com
Chemie- und Industrieparks sind häufig entlang großer Flüsse, also in Gewässernähe, angesiedelt. In den Parks lagern immer auch größere Mengen gefährlicher Stoffe der unterschiedlichsten Gefährdungsarten. Häufig sind sie wassergefährdend. Damit unterliegen Chemie- und Industrieparks zwangsläufig besonderen Sicherheitsanforderungen, damit die Stoffe nicht im Fall von Starkregen, Hochwasser oder Überflutung austreten und die Umwelt und auch den Menschen gefährden oder gar schädigen können.
Entscheider-Facts Für Anwender
- Chemie- und Industrieparks unterliegen zwangsläufig besonderen Sicherheitsanforderungen, damit wassergefährdende Stoffe nicht im Fall von Starkregen, Hochwasser oder Überflutung austreten und die Umwelt und in deren Folge auch den Menschen gefährden oder gar schädigen können.
- Zur Vermeidung von Störfällen muss der Betreiber jedes Betriebsbereichs die nach Art und Ausmaß der möglichen Gefahren erforderlichen Vorkehrungen treffen. Dabei hat er auch umgebungsbedingte Gefahrenquellen, wie namentlich Erdbeben oder Hochwasser, zu berücksichtigen.
- Die TRAS 310, neben der ausdrücklich auch die Regelungen des WHG und der Landeswassergesetze zu beachten sind, markiert den Stand der Technik in Bezug auf Gefahren aus Niederschlägen und Hochwasser.
- Nach der TRAS 310 kann die Anforderung, dass kein Wasser in ein Chemikalienlager eindringen darf, als technische Maßnahme eine Hochwasserschutzwand für einen bestimmten Wasserstand erfordern. Für eine Entscheidung, ob eine Gefahrenquelle vernünftigerweise ausgeschlossen werden kann, zieht die TRAS 310 möglichst einfache und leicht nachvollziehbare Kriterien heran.
Rechtlich spiegeln sich diese Themen vor allem im Störfallrecht wieder. Die Seveso-II-Richtlinie 96/82/EG – gerade abgelöst durch die Richtlinie 2012/18/EU – und in deren Umsetzung die Störfall-Verordnung verpflichten die Betreiber von Betriebsbereichen, in denen bestimmte gefährliche Stoffe vorkommen, dazu, schwere Unfälle zu verhüten und die Folgen sogenannter Dennoch-Störfälle zu begrenzen.
Zur Verhinderung von Störfällen muss der Betreiber jedes Betriebsbereichs die nach Art und Ausmaß der möglichen Gefahren erforderlichen Vorkehrungen treffen. Dabei hat er auch umgebungsbedingte Gefahrenquellen, wie namentlich Erdbeben oder Hochwasser, zu berücksichtigen (§ 3 Abs. 2 StörfallV). Nur Gefahrenquellen, die als Störfallursachen vernünftigerweise ausgeschlossen werden können, müssen im Rahmen der Störfallverhinderungsmaßnahmen nicht berücksichtigt werden.
Soweit durch solche vernünftigerweise auszuschließenden Gefahrenquellen aber dennoch Störfälle entstehen können (sie heißen deshalb Dennoch-Störfälle), greift hierfür die Pflicht, die Auswirkungen solcher Störfälle so gering wie möglich zu halten. Solche vernünftigerweise auszuschließenden Störfälle können zum Beispiel auf Regenereignissen oder Hochwasser beruhen, mit denen der Betreiber auch unter Berücksichtigung anerkannt langer Zeiträume – 30 oder 100 Jahre – nicht unbedingt hätte rechnen müssen. Der Klimawandel und Eingriffe des Menschen in die Umwelt, wie sie beispielsweise im Baubereich oder beim Gewässerausbau anzutreffen sind, begünstigen das Auftreten solcher Ereignisse, die darum statistisch betrachtet in immer kürzeren Zeiträumen auftreten. Insbesondere Starkregen- und Hochwasserereignisse nehmen zu.
Konkretisierung durch die TRAS 310
Weil die Anforderungen, die der Betreiber zu erfüllen hat, schwer zu greifen sind und der einzelne Betreiber vor der Frage steht, welche Szenarien er betrachten muss und welche er als vernünftigerweise unberücksichtigt lassen kann, hat die Kommission für Anlagensicherheit (KAS) zur Präzisierung im November 2011 eine Arbeitshilfe unter dem Titel Technische Regel für Anlagensicherheit „Vorkehrungen und Maßnahmen wegen der Gefahrenquellen Niederschläge und Hochwasser“ (kurz: TRAS 310) verabschiedet.
Diese hat das Bundesumweltministerium am 15. Dezember 2011 im Bundesanzeiger Nr. 32a vom 24. Februar 2012 als sicherheitstechnische Regel bekannt gemacht. Damit markiert diese Technische Regel, neben der ausdrücklich auch die Regelungen des WHG und der Landeswassergesetze zu beachten sind, den Stand der Technik in Bezug auf Gefahren aus Niederschlägen und Hochwasser. Betreiber, die die Technische Regel jetzt unberücksichtigt lassen, riskieren den Vorwurf der fahrlässigen Außerachtlassung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt. Sie können so ihr Unternehmen in die Gefahr der Umwelthaftung und sich selbst und ihre Mitarbeiter in die Gefahr strafrechtlicher Verfolgung bringen, wenn es wegen der Missachtung dieser Regelungen zur Verletzung Dritter oder geschützter Umweltgüter kommen sollte.
Anwendungsbereich der TRAS 310
Die TRAS 310 gilt zunächst nur für die Betriebsbereiche, die der Störfall-Verordnung unterliegen. Es wird aber ausdrücklich empfohlen, sie darüber hinaus auf alle immissionsschutzrechtlich genehmigungsbedürftigen Anlagen anzuwenden, bei denen die Gefahr der Freisetzung von gefährlichen Stoffen besteht. Zielrichtung der TRAS 310 ist es, die menschliche Gesundheit, die Umwelt sowie Sachgüter vor nachteiligen Folgen einer Freisetzung, eines Brandes oder einer Explosion von gefährlichen Stoffen infolge des Wirksamwerdens einer umgebungsbedingten Gefahrenquelle, wie zum Beispiel Überflutung, zu bewahren.
Dem Betreiber wird empfohlen, sich in vier Schritten den in der TRAS 310 angesprochenen Problemen zu nähern. Zunächst soll in einer Gefahrenquellenanalyse geprüft werden, welche Gefahrenquellen singulär oder in Kombination auf den Betrieb einwirken können. Dazu hat der Betreiber nicht nur die ihm schon vorliegenden Informationen zu berücksichtigen, sondern auch behördlich bekannte Informationen – etwa aus den Hochwasserdokumenten nach §§ 73, 74 WHG – und allgemein öffentlich bekannte Informationen. Hier fließen dann auch die jeweils neusten Erkenntnisse über das Voranschreiten des Klimawandels ein.
Dem schließt sich eine Analyse der Gefahren und Gefährdungen an, in der geprüft wird, ob durch Einwirkungen auf sicherheitsrelevante Teile des Betriebsbereichs oder der Anlagen Störfälle eintreten können. Dazu sind die sicherheitsrelevanten Betriebsbereichs- und Anlagenteile zu identifizieren.
Aus diesen Erkenntnissen muss dann ein Schutzkonzept abgeleitet werden, in dem Vorkehrungen zur Störfallverhinderung festgelegt werden. Nach der TRAS 310 kann die Anforderung, dass kein Wasser in ein Chemikalienlager eindringen darf, als technische Maßnahme eine Hochwasserschutzwand für einen bestimmten Wasserstand erfordern. Danach ist das Schutzkonzept bzgl. seiner Wirksamkeit zu prüfen und zu dokumentieren. Gegebenenfalls ist das Schutzkonzept weiter anzupassen.
Im vierten Schritt sind die „Dennoch-Störfälle“ zu betrachten und dazu insbesondere Maßnahmen zur Begrenzung der Auswirkungen von Störfällen festzulegen. Dazu werden die vernünftigerweise auszuschließenden Gefahrenquellen untersucht, deren Eintreten zwar nicht zu verhindern ist, gegen deren Auswirkungen aber unabhängig von den störfallverhindernden Vorkehrungen zusätzliche störfallauswirkungsbegrenzende Vorkehrungen zu treffen sind (§ 3 Abs. 3 StörfallV). Das gilt nicht für Gefahrenquellen, die so unwahrscheinlich sind, dass sie jenseits der Erfahrung und Berechenbarkeit liegen. Gegen diese exzeptionellen Störfälle sind keine anlagenbezogenen Vorkehrungen zu treffen.
Informationssammelpflicht der Betreiber
Die Deutsche Anpassungsstrategie an den Klimawandel vom 17. Dezember 2008 (DAS) weist darauf hin, dass bei Betriebsbereichen, in denen gefährliche Stoffe in höheren Mengen vorhanden sind und bei Extremereignissen freigesetzt werden könnten, die bisherigen Sicherheitsanforderungen und das Sicherheitsmanagement entsprechend des wissenschaftlichen Erkenntnisfortschritts und der Betreiberpflichten gemäß Störfall-Verordnung zu überprüfen und gegebenenfalls anzupassen sind. Dabei haben die Betreiber eine eventuelle Ausweisung von Hochwasser-Risikogebieten der Bundesländer auf der Grundlage von § 73 WHG oder von Gefahren- und Risikokarten nach § 74 WHG zu beachten. Jeden Betreiber trifft eine Informationssammelpflicht, denn er muss die aktuellen Wetterdaten zum eigenen Werksstandort kennen und in seinen Störfalldokumenten berücksichtigten. Er würde seine Pflichten verletzten, wenn er das Sicherheitsniveau auf einem veralteten Kenntnisstand aufbauen würde. Die Seveso-III-Richtlinie fordert darum, dass der Betreiber sein Konzept zur Verhütung schwerer Unfälle regelmäßig und zwar mindestens alle fünf Jahre (Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie 2012/18/EU) sowie bei jeder Änderung (Art. 11) überprüft.
Was ist „vernünftigerweise“ auszuschließen?
Welche Szenarien als „vernünftigerweise ausgeschlossen“ betrachtet werden können, sagen weder die Seveso-II-Richtlinie noch die deutsche Störfall-Verordnung. Für eine Entscheidung, ob eine Gefahrenquelle vernünftigerweise ausgeschlossen werden kann, zieht die TRAS 310 möglichst einfache und leicht nachvollziehbare Kriterien heran. So wird dem Betreiber eine detaillierte Gefahrenanalyse nur dann abgefordert, wenn die Anlage bzw. der Betriebsbereich innerhalb eines festgesetzten Überschwemmungsgebiets liegt oder in (Hochwasser-) Gefahren- oder Risikokarten nach § 74 WHG* kartiert ist, oder wenn unterirdische Tankanlagen mit gefährlichen Stoffen vorhanden sind.
Um das Risiko von Überflutungen in Bezug auf den Anlagenbetrieb zu erkennen, wird eine Bilanz des zu- und des abfließenden Wassers gefordert, wozu die TRAS 310 zu berücksichtigende Kriterien, wie die Größe der versiegelten Flächen, benennt. Für den Fall, dass Überflutungen und hiermit verbundene Gefahrenquellen nicht schon nach einer vereinfachten Gefahrenquellenanalyse vernünftigerweise ausgeschlossen werden können, sieht die TRAS 310 folgende Schritte für eine detaillierte Gefahrenquellenanalyse vor:
- Ermitteln der potenziellen Zuflusswege mit Strömungsrichtung,
- Ermitteln der möglichen Wasserstandshöhen in Abhängigkeit von der Intensität des Ereignisses,
- Quantifizieren der Strömungsgeschwindigkeiten,
- Abschätzen der Gefährdung durch Treibgut oder Eisgang,
- Abschätzen der Gefährdung durch Erosion (Unterspülung von Gebäuden und Anlagenteilen) und
- Abschätzen der Gefährdung durch Aufschwimmen von Anlagen und Anlagenteilen.
Um den Unwägbarkeiten bei der Prognose der Klima- und Wasserstandveränderungen angemessen Rechnung zu tragen, soll nach der TRAS 310 als Auslegungsgröße für Schutzmaßnahmen grundsätzlich ein Klimaänderungsfaktor von 1,2 herangezogen werden (Kapitel 7.3 und Anhang I), sofern von den zuständigen Behörden gemäß den §§ 72 bis 81 WHG die Folgen des Klimawandels nicht bereits in den (Hochwasser-)Gefahrenkarten berücksichtigt wurden oder die zuständige Behörde für das jeweilige Gewässer mögliche Veränderungen des Abflusses bei Hochwasser aufgrund des Klimawandels bereits festgestellt hat. Die KAS wird den fortschreitenden Kenntnisstand bei der von ihr alle fünf Jahre geforderten Überarbeitung dieser TRAS berücksichtigen
In der TRAS 310 nicht geregelte Gefahrenquellen
Die TRAS 310 bezieht sich auf wasserbezogene Ereignisse wie Starkregen, Dauerregen und Sturmflut, Schneeschmelze und Eisbildung und auf die dadurch hervorgerufenen Folgen wie beispielsweise einen steigenden Grundwasserstand. Hierzu werden vielfältige Hilfestellungen gegeben.
Steigendes Grundwasser kann aber auch andere Ursachen als Regen oder Überflutung haben. In vielen Regionen steigt das Grundwasser, weil nach der Beendigung der Gewinnungstätigkeit von Bergbauvorhaben die dazu erforderliche Grundwasserhaltung eingestellt wird. Oder es kann aufgrund von Stromausfall zum Ausfall der Pumpen kommen, so dass das Grundwasser schnell ansteigt. Auch diese Gesichtspunkte hat der Betreiber im Rahmen seiner Pflicht, die umgebungsbedingten Gefahrenquellen zu berücksichtigen, zu ermitteln, um sie dann in seinen Störfalldokumenten berücksichtigen zu können.
Hierzu wären ergänzend Informationen der zuständigen Bergbehörden – in NRW etwa der Bezirksregierung Arnsberg als landesweit zuständiger Bergbehörde – einzuholen. Die TRAS 310 erwähnt diese Gefahrenquellen zwar (unter Ziffer 5.2 am Ende), blendet diesen Bereich aber bewusst aus und überlässt es insoweit dem Betreiber, hierzu die erforderlichen Informationen einzuholen und zu bewerten