Professor Müggenborg und die Störfallexperten

Als erfolgreicher und etablierter Umweltrechtler hätte Hans-Jürgen Müggenborg einfach so seine Mandate abarbeiten können. Doch der Rechtsanwalt lernt, dass seine Mandanten nicht nur seinen Rechtsrat, sondern auch den Rat von Ingenieuren, Chemikern oder Wirtschaftspsychologen benötigen.

In den Achtzigern entdeckt Deutschland die Umwelt als Schutzgut – und Hans-Jürgen Müggenborg sein Lebensthema. Die Chemie­riesen im Osten werden nach der Wende seine Feuer­taufe. Seitdem ist er dem Thema treu geblieben – und erfindet sich als Anwalt doch immer wieder neu. Von Anfang an dabei gewesen zu sein, das behaupten hinterher viele. Erst recht, wenn aus dem Anfang später etwas Großes wird. Oder ein Geschäft. Oder beides. Die Formu­lierung „Ein Mann der ersten Stunde“ aber passt zu Hans-Jürgen Müggenborg auch deswegen so gut, weil sie auch im Wortsinn zutrifft. Als der junge Professor Michael Kloepfer an der Universität Trier 1984 die deutsch­landweit erste Vorlesung zum Umwelt­recht hält, sitzt Hans-Jürgen Müggenborg aufmerksam in seinem Hörsaal.

„Das Thema hat mich sofort in Beschlag genommen“, sagt Müggenborg heute über diesen Moment. Kloepfer trägt seinem Studenten auf, einen Part eines möglichen Umwelt­ge­setz­buches zu entwerfen. Müggenborg stürzt sich in die Arbeit und erregt mit einem sehr guten Ergebnis die Aufmerk­samkeit seines Lehrers. Was dann folgt, erzählt einiges über die Karriere und das Wesen des Rechts­an­walts, der Hans-Jürgen Müggenborg im Lauf der Jahrzehnte wurde. Er ist heute promo­viert, Professor an zwei Universitäten, als Vortrags­rei­sender omnipräsent, als Gutachter geschätzt, als Anwalt zur Genüge manda­tiert und ganz nebenbei noch Vorsit­zender des Umwelt­rechts­aus­schusses des Deutschen Anwalt­vereins. Doch zunächst wir der junge Jurist Kloepfers Assistent am Institut für Umwelt- und Technik­recht in Trier. „Da habe ich eine Menge gelernt und wichtige Bezie­hungen geknüpft.“ Als er nach seiner Assis­ten­tenzeit in Trier eine Chance sucht, vermittelt ihn ein Kontakt aus dem Umkreis des Instituts an eine Düsseldorfer Sozietät, die den jungen frisch zugelas­senen Anwalt nach Halle schickt, drei Wochen nach Inkraft­treten des Einigungs­ver­trags im Oktober 1990. Da ist sie, Müggenborgs Gelegenheit.

Der Osten wird für ihn zum Karriere-Beschleu­niger, die neuen, manchmal unübersicht­lichen Verhältnisse schrecken den Mann mit dem rheini­schen Einschlag nicht nur nicht ab, sie begeistern ihn eher. Das Impro­vi­sierenmüssen mit den nur sechs Telefon­lei­tungen von Ost nach West amüsiert ihn. „Dann müssen wir uns eben kurz fassen!“ Müggenborg beklagt sich nicht, Müggenborg macht einfach. Als er mit Kollegen im „Haus des Lehrers“ in Halle seinen ersten Vortrag zum Umwelt-recht hält, ist die Nachfrage riesig, Wieder­ho­lungs­termine sind nötig. Für die Chemie­kom­binate der damals noch neuen Bundesländer galt mit dem Einigungs­vertrag über Nacht westdeut­sches Recht – mit oft nur kurzen Übergangs­fristen. „Ich war Berufsanfänger und hatte es sofort mit den Vertretern riesiger Kombinate zu tun“, sagt Müggenborg heute, „in Frankfurt hätte ich für Mandate dieser Dimension Jahre warten müssen.“

Und so stürzt sich Müggenborg in die Arbeit, die Kanzlei in Halle wächst unter seiner Führung auf sechs Mitarbeiter, aus den geplanten sechs Monaten werden sieben Jahre. „Das war meine Feuertaufe“, sagt Müggenborg, „beruflich und persönlich.“ Er ist zwar angestellt, „es fühlte sich aber nicht so an.“ Der eigene Chef sein – dieser Gedanke nimmt in diesen Jahren für Müggenborg erste Formen an. Doch zunächst lässt er sich wieder abwerben, kehrt zurück ins Ruhrgebiet und heuert bei einer Duisburger Firma an, die Managementsysteme entwirft. „Wir haben das ‚Who is Who‘ der deutschen Wirtschaft beraten“, sagt Müggenborg. Das Setup glich sich oft: Das Top-Management hat von den komplexen juristischen Regelungen in vielen Unternehmensbereichen wenig Ahnung – muss aber den Vorschriften Genüge tun. „Man hat es damals noch nicht so genannt, aber wir haben damals das gemacht, was heute unter dem Namen Compliance Standard ist.“ Beraten, Wissen weitergeben, für andere an alles denken: das wird spätestens jetzt Müggenborgs tägliches Geschäft. Und mit seiner Spezialisierung auf das Umweltrecht verfügt er über Wissen und Erfahrung in einem Gebiet, das jung ist und spätestens seit den 1980er und mit den Grünen immer weiter Fahrt aufnimmt. „Ich bin übrigens weder ökobewegt, noch industrienah und habe kein Sendungsbewusstsein“, sagt Müggenborg, „ich halte das Umweltrecht schlicht für essentiell und nebenbei auch juristisch interessant.“

Auf die Frage, warum es dem Menschen oft nicht gelingt, im Einklang mit seiner Umwelt zu leben, warum die Gesell­schaft also ein Rechts­gebiet braucht, das wie ein Schieds­richter den Menschen davon abhält, seine Lebens­grundlage in Gefahr zu bringen, antwortet er mit rheinisch-lakoni­schem Achsel­zucken und der Gegen­frage: „Warum gibt es Mord?“ Um dann hinter­her­zu­schicken, dass ihn seine Erfah­rungen aus dem Alltag in deutschen Unter­nehmen gerade nicht zum Pessi­misten gemacht haben. „Da sitzen zum großen Teil Menschen, die alles richtig machen wollen, aber oft den Wald vor lauter Bäumen nicht sehen – und da komme ich ins Spiel.“ Ende der 1990er wird er als Anwalt erneut abgeworben, aber es passt menschlich in der neuen Kanzlei nicht. „Muss ich mir das antun?“, fragt sich Müggenborg. Es ist Zeit für ihn, in seine Heimat­stadt Aachen zurückzukehren und sein eigenes Ding zu machen. Er sucht sich eine Bürogemein­schaft, bleibt aber fachlich Einzelkämpfer.

„Eines habe ich damals gelernt“, sagt Müggenborg. „Der Name der Sozietät spielt bei den Mandanten keine Rolle, sondern auf den persönlichen Draht kommt es an.“ Und weil der nicht nur vorhanden ist, sondern bei Müggenborg geradezu glüht, muss er sich um Mandate nicht sorgen. „Dass ich mir einen Namen gemacht hatte, habe ich daran gemerkt, dass ich ihn irgendwann nicht mehr buchsta­bieren musste“, sagt Müggenborg. Im Jahr 2000 wird er zudem Lehrbe­auf­tragter für Umwelt­straf­recht und Indus­trie­park­recht an der Universität Kassel, vier Jahre holt ihn die RWTH Aachen in gleicher Funktion fürs Umwelt­zivil- und Umwelt­straf­recht. 2007 wird Müggenborg promo­viert, drei Jahre später machen ihn die Aachener zum Honorar­pro­fessor. „Fühlt sich heute manchmal noch unwirklich an“, sagt Müggenborg, der sich als junger Student die Promotion nicht zutraute, „aber man ist ja immer noch der gleiche Mensch.“

Es ist die Musik, die ihn schließlich dorthin bringt, wo er heute mit seiner Kanzlei residiert. Müggenborg, der als junger Mann in mehreren Bands Keyboard spielte und heute in einem Auswahlchor Bass singt, wird bei einem Jazzkonzert in Schloss Rahe, ein paar Kilometer außerhalb der Aachener Innenstadt, auf freie Büroräume aufmerksam – und zieht kurz darauf ein. Die ehemalige Wasserburg ist jetzt sein Arbeitsmittelpunkt, sein Büro liegt in einem lichten Seitenflügel des Anwesens, das ein großer Park umgibt. Es ist jetzt wieder stiller geworden bei ihm im Büro, das zwischenzeitlich elf Mitarbeiter bevölkerten, für die Müggenborg eine nahe gelegene Büroetage dazu mieten musste. Müggenborg ist nicht nur Anwalt, sondern hat spätestens seit seiner Selbstständigkeit erkannt, dass zum Anwaltsberuf auch eine unternehmerische Seite passt – und ihm die Digitalisierung dabei in die Hände spielt. So entwickelte er mit einem computeraffinen Betriebswirt quasi nebenbei ein Geschäftsmodell, das darauf abzielte, standardisiert Immobilien-Darlehen in großer Zahl wegen fehlerhafter Klauseln zu widerrufen. Mandanten akquirieren die beiden Geschäftspartner über das Internet, 4.000 waren es in einem Jahr – der Google-Suche sei Dank. Eine automatisierte Klageschrift sorgte für nie gekannte Produktivität und Müggenborg und seine Partner würden heute noch von ihrer smart aufgesetzten Geschäftsideeprofitieren, wenn nicht der Gesetzgeber das Recht schnell geändert und die Banken vor weiteren Klagen geschützt hätte.

Die Erfahrung über die Wirkmächtigkeit des Internets für das eigene Geschäft als Rechtsanwalt hat Müggenborg geprägt – und auf neue Ideen gebracht. Kurz denkt er mit seinem Kompagnon über das Massengeschäft mit Dieselklagen nach, winkt dann aber ab. „Zu kurzfristig“. Wie aber wäre es mit dem genauen Gegenteil, einem maßgeschneiderten Angebot für die Mandanten, die ihn sowieso schon als Berater kennen – Mittelständler aus dem ganzen Bundesgebiet? Müggenborg betreut einen umweltrechtlichen Störfall mit Personenschaden und merkt, wie dringend nötig Unternehmen eine Art ganzheitliche Betreuung bei Vorfällen dieser Art bräuchten. 2016 geht eine neue Website aus dem Hause Müggenborg online. Die Startseite zeigt eine große Industrieanlage, auf einem kleineren Foto darunter brennt es auf einem Firmengelände. Es ist die Geburtsstunde der „Störfallexperten“. Müggenborg hat für sie ein Krisenteam versammelt, das Unternehmen buchen können – vor oder nach einer Betriebsstörung. Die Störfallexperten sind erfahrene Fachleute aus Chemie, Risikomanagement, Anlagensicherheit und Wirtschaftspsychologie.

Ein schlagkräftiges Team, das im Gegensatz zur Konkurrenz nicht an einem Ort auf seinen Einsatz wartet, sondern anlass­be­zogen zum Einsatz erscheint – zusam­men­ge­halten unter dem Dach der Kanzlei Müggenborg. „Diese Art der Zusam­men­arbeit nimmt der Markt immer besser an“, sagt der Gründer. Im nächsten Jahr wird Müggenborg sechzig, seine drei Kinder studieren und die Arbeit fordert ihn zwar, verschafft ihm aber auch Befrie­digung. Das Konzept Rente ist ihm völlig fremd. „Warum sollte ich jemals aufhören?“, sagt Müggenborg. „Ich genieße es heute, viel Erfahrung zu haben. Das macht angenehm gelassen.“ Im Beratungs­gespräch mit Geschäftsführern und Vorständen werde er ernst genommen, könne seine Botschaften glaubwürdig platzieren. „Vieles von dem, was ich mir vorge­nommen habe, konnte ich verwirk­lichen.“ Mit der beruf­lichen und auch persönlichen Zufrie­denheit sei es schließlich ein wenig wie mit dem Thema Compliance im Unter­nehmen. „Es gibt da einen Ideal­zu­stand, dem viele sehr nahe kommen“, sagt Müggenborg, „aber am Ende nie ganz erreichen.“

Dieser Artikel erschien zuerst im Anwaltsblatt am 17.12.2018 hier.

Nach telefonischer Absprache mit Herrn Dr. Lührig, Geschäftsführer des Deutschen Anwaltsvereins und Redaktionsleiter des Anwaltsblattes hier veröffentlicht.

Autor: Prof. Dr. Müggenborg
Vorsitzender des Umweltrechtsauschusses des DAV. Deutschlandweit führender Experte im Umwelt- und Technikrecht.

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