Pandemie und Krisenmanagement (Editorial in Technische Sicherheit 10 (2020) Nr. 04-05, S. 3)

In der momentanen Situation ist noch nicht abzusehen, wie sich die Covid-19 Pandemie weiterentwickeln wird, wie lange sie anhalten und welche Folgen sie haben wird. Eines ist aber jetzt schon klar: man kann und muss aus ihr lernen. Es werden nicht nur die Risiken der Globalisierung sichtbar.

Vielmehr zeigt sich auch, wie wichtig ein umfassendes Krisenmanagementsystem ist.

Ein Notfall- bzw. Krisenmanagementsystem soll Unternehmen und andere Organisationen in die Lage versetzen, auf Störungen und Bedrohungen so zu reagieren, dass Schäden minimiert werden und die Eskalation zu einer Krise möglichst vermieden wird. Kern des Krisenmanagementsystems sind in der Regel die Szenarien Brand, schwerer Unfall, Explosion und ggf. Stoffaustritt und Umweltrisiken. Daher sind diese Systeme meist in der Verantwortung von Fachleuten bzw. Abteilungen für Anlagensicherheit, Brand- oder Umweltschutz. Viele Unternehmen haben in den letzten Jahren erkannt, dass ihr Krisenmanagementsystem grundsätzlich auch andere Szenarien abdecken kann, wie den Ausfall von Energien und Informationstechnik. Auch wenn das Thema Pandemie während der SARS – Pandemie 2002/2003 vorübergehend Aufmerksamkeit erlangte, wurde dieser Aspekt des Krisenmanagements wenig beachtet, nachdem Deutschland verschont blieb. Damit wurden viele Unternehmen durch Covid-19 kalt erwischt.

Krisenmanagement beginnt mit dem Vordenken und Durchspielen von Abläufen. Der Ausfall von Arbeitskräften ist das typische Risiko für Pandemien und Epidemien. In einer vorausschauenden Planung identifiziert man Funktionen, die für die Aufrechterhaltung des Betriebs essenziell sind und sorgt für die Verteilung des Know-How auf verschiedene Personen. Dann hat man im Krisenfall Zeit, nach Vorgaben im Krisenmanagementsystem Dienstpläne zu machen. Das Risiko eines Totalausfalls von Schlüsselpersonen wird minimiert.

Lieferketten können nicht nur bei einem globalen Ereignis wie einer Pandemie zusammenbrechen. Auch politische Unruhen, Streiks, Naturkatastrophen und Pandemien können ganze Regionen lahmlegen.

Dieses Risiko der Globalisierung wird nach der derzeitigen Krise gegenüber den Kostenvorteilen zweifellos neu bewertet werden. Es wird aber auch dann ein Restrisiko bleiben, das im Krisenmanagement berücksichtigt werden muss. Neu ist bei der derzeitigen Pandemie, dass nicht nur erkrankte Personen ausfallen, sondern dass fast jeder über einen längeren Zeitraum zu Hause bleiben muss. Ohne die Möglichkeiten des Home Office wären die wirtschaftlichen Folgen dieses Eingriffs um vieles schlimmer gewesen. Auch hierauf kann man sich vorbereiten: der Zugriff auf das Firmennetz von zu Hause aus kann im Krisenmanagementsystem geregelt werden.

Wir erleben jetzt nach SARS innerhalb von weniger als 20 Jahren die 2. Pandemie und sehen, dass die hohe Vernetzung und Mobilität unserer globalen Gesellschaft die Begrenzung zunächst lokaler Infektionsherde praktisch unmöglich macht.

Eine Pandemieplanung sollte daher spätestens jetzt in das Krisenmanagement integriert werden. Dies ist mit vertretbarem Aufwand möglich. Auch bei der Pandemie benötigt man Stäbe sowohl auf der operativen Ebene als auch bei der Unternehmensleitung und arbeitet mit Ablaufschemata wie bei den „klassischen“ Krisen.

Nicht alles, aber das Grundsätzliche kann man vordenken. Dies reduziert den Stress im Fall der Krise und erleichtert das stets notwendige Improvisieren. Eine Erfahrung aus der Covid-19 Pandemie kann man jetzt schon verallgemeinern: in Krisen sind klare Entscheidungen gefragt. Auch hier helfen Vorgaben im Krisenmanagementsystem und vor allem: üben, üben, üben!

Quellenangabe: Editorial in Technische Sicherheit 10 (2020) Nr. 04-05, S. 3 Veröffentlicht mit Freigabe des Verlages

Autor: Prof. Dr. Jochum
Führender Experte mit mehr als 24 Jahre Erfahrung als Vorsitzender und Stv. Vorsitzender der Kommission für Anlagensicherheit. Ehemals Leiter der Sicherheitsüberwachung, Hoechst AG.

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